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Zoologieprofessor Eisenbeis kämpft gegen Straßenlaternen

DIE ZEIT

52/2002


Mörderischer Mond

Zoologieprofessor Eisenbeis kämpft gegen Straßenlaternen, denn hell erleuchtete Städte sind eine tödliche Falle für Motten, Falter und Zugvögel.

Ein Nachtspaziergang

Von Burkhard Straßmann

Mainz bleibt Mainz und wird nicht Paris. Dabei hatten Hoffnungen bestanden. Hochfahrende Planer wollten aus Anlass der Runderneuerung der Mainzer City aus der Ludwigstraße (der »Lu«) zwischen Dom und Schillerplatz eine »Mainzer Champs-Élysée« machen. Die Platanen waren schon gefällt. Schicke Steinplatten verlegt. Es fehlte nur noch eins: Licht.

Glamouröses, strahlendes, Pariser Licht. Gleißen! Blendende Versprechungen!

Doch wer in dieser Stadt eine neue Lampe anknipst, muss mit Professor Eisenbeis rechnen. Eine Parade von strahlenden Leuchttürmen in der Mainzer City? Nicht mit Eisenbeis! »Ich habe mich damals zu Wort gemeldet…das ging mehrfach durch die Presse…« Und dann war er entschieden, der »Mainzer Lichtkrieg«.

Gerhard Eisenbeis kämpft für Insekten. Und gegen helle Leuchten. Dagegen, dass die meisten Insekten durch künstliches Licht desorientiert sind, in ihrer Fortpflanzung gestört und schließlich massakriert werden. Dass viele Leuchten, sagt Eisenbeis, »wie ein Staubsauger die Natur leer saugen, und für viele Insekten ist das ein One-Way-Ticket«.

Eisenbeis steht auf dem zentralen Gutenbergplatz vor dem Staatstheater im gelblichen Schimmer von vier etwa zehn Meter hohen Kompromissleuchten, eher Skulpturen als Lampen. Drum herum eine Parade von bescheidenen Funzeln. Mainz erinnert weiterhin eher an Mainz. Stolz, Herr Eisenbeis? »Vielleicht war das auch mein Erfolg«, sagt der 59-jährige Zoologe der Uni Mainz bescheiden. Er weiß, dass er auf der richtige Seite steht. Auf der Seite der Tierschützer, mancher Mediziner, fast aller Astronomen, die mit ihren Ferngläsern die Milchstraße nicht mehr finden, und der Dark-Sky-Weltorganisation samt allen nationalen Gliederungen. Deren Wehgeschrei wird immer lauter: Es ist zu viel Licht auf der Welt! Unsere Nächte sind vom Licht verschmutzt! Und es wird immer mehr!

Los Angeles, sagt Eisenbeis. Auf einem nächtlichen Foto, aufgenommen vor 90 Jahren, sieht die Stadt noch aus wie eine Stadt bei Nacht. Auf einem Foto aus diesem Jahr ist etwas zu sehen, das aussieht wie ein gigantischer Flächenbrand. Nicht nur Los Angeles. Kiel, sagt Eisenbeis mit erregter Stimme, nehmen Sie Kiel. 1948 zählte man dort noch 480 Straßenlaternen. 1998 waren es 20 000. Was braucht man Tageshelle rund um die Uhr? Man müsse etwas tun gegen die globale Lichtverschmutzung! Die, fürchten manche Ärzte, könnte auch negative Auswirkugen auf den Biorhythmus des Menschen haben.

Wenn Insekten fliegen, haben sie nur Sex im Kopf

Dass Licht schädlich sein kann, beweist aber am augenfälligsten das Schicksal der nachtaktiven Insekten. 150 Billionen von ihnen verenden alljährlich allein an deutschen Straßenlaternen! Das hat der Professor Eisenbeis mal ausgerechnet. Eine gewaltige Zahl, auch wenn ihre Bedeutung für die Gesamtpopulation völlig im Dunkeln bleibt. Allein 90000 Insektenarten sind bisher weltweit bestimmt, bis zu 80 Millionen Arten vermuten Experten insgesamt. Die Zahl der einzelnen Exemplare allein in Deutschland auch nur zu schätzen wäre ein hoffnungsloses Unterfangen.

Dennoch, das Thema des Nachtspazierganges mit Eisenbeis ist klar: »Gutes Dunkel, böses Licht«. Nun ist auch in Mainz Vorweihnachtszeit. Festbeleuchtung überall. Doch der Insektenfreund ist kein Unmensch. »Ich glaube nicht, dass man den Leuten die Weihnachtsbeleuchtung verbieten kann. Abgesehen davon, fliegen jetzt auch keine Insekten.« Dass man das Problem nicht sieht, macht es nicht kleiner. Insekten fliegen, wenn es warm ist und sie auf dumme Gedanken kommen. Dann haben sie nur Sex im Kopf und brummen durch die Nacht. Ihre hoch sensiblen Augen sehen auch bei Sternenlicht noch genug. Um sich nicht zu verfliegen, haben sie stets Mond und Sterne im Blick. Sie fliegen möglichst immer in einem bestimmten Winkel zum Orientierungslicht. Und dann das: weiße Kugelleuchten!

Eisenbeis hat sie vor dem kurfürstlichen Schloss entdeckt. »Das Schlimmste«, murmelt er. Sie beleuchten einen Parkplatz. So würden es Laien sehen. Eisenbeis sieht es anders. Das meiste Licht, das die runden Laternen abstrahlen, ist Schmutzlicht. Geht nach links und nach rechts und insbesondere nach oben, wo es keinem anderen Zweck dient, als von Satelliten aufgenommen zu werden, damit Dunkelheitsfreunde einen neuen Beleg dafür haben, wie schlimm es schon ist. Auf solchen Aufnahmen ist Europa ein leuchtendes Lichtermeer. Pardon: eine Lichterhölle. Die USA sowieso. Ein langer Lichtstrich in Fernost: die Route der Transsibirischen Eisenbahn. Schwarz: Afrika. Und Nordkorea. Rabenschwarz.

Keine Kugelleuchten in Nordkorea! Das muss ein Paradies für nachtaktive Insekten sein. Denn Leuchtkugeln wie vor dem Mainzer Schloss sind für Nachtfalter und ihre Verwandten fatalerweise künstliche Monde. Je nach Leuchtkraft strahlen sie bis zu 700 Meter weit. Wer von den nächtlichen Fliegern solch einen Kunstmond wie gewohnt immer unter demselben Winkel sehen will, muss zwangsläufig kreisen. Warum die Kreise immer enger werden, warum die Motten und Mücken und Falter und Spanner schließlich gegen die Lampe ploppen, immer wieder, oder verglühen – das weiß selbst ein Eisenbeis noch nicht. Da gibt es nur Theorien. Eine davon besagt, dass Nachtfalter zum Licht fliegen, um besser sehen zu können. Eine Therorie, wie gesagt.

Von Haus aus ist das nächtliche Geflatter und Gesirre auch gar nicht Eisenbeis’ Spezialität. Sein forschendes Interesse richtete sich vielmehr jahrelang auf die früheren Metamorphosestufen der Insekten, die noch im Boden wühlen oder im Wasser krabbeln, bevor ihnen Flügel wachsen. Man kennt ihn in Fachkreisen für seinen Atlas zur Biologie der Wasserinsekten und ein nicht weniger grundsätzliches Opus zum Bodengekribbel. Doch 1997 änderte sich sein Leben, und bis heute ist nicht abzusehen, was alles noch kommen wird. Damals hat er zusammen mit dem BUND untersucht, wie Insekten auf verschiedenfarbiges Licht reagieren. In öffentlichem Gebrauch sind hauptsächlich zwei Typen von Lampen: die Quecksilberdampf-Hochdruck- und die Natriumdampf-Hochdrucklampen. Die Ersteren strahlen grellweiß, die Letzteren leuchten gelblich. Nun hängte Eisenbeis mit Helfern Fangvorrichtungen unter gelbe und weiße Lampen und zählte, was ihm so in die Fallen tappte. 1700 Individuen wurden innerhalb von vier Monaten pro Falle gefangen; zu 85 Prozent dicke Nachtfalter wie der Pappel- oder der Weinschwärmer oder die Hausmutter (Triphaena pronuba). Das wichtigste Ergebnis: Vom Weißlicht fühlten sich mehr als doppelt so viele der Nachtaktiven angezogen wie vom gelben. Fazit: Insektenfreunde benutzen gelbes Licht.

Ganz in der Nähe des neuen Mainzer Abgeordnetenhauses stoßen wir auf kleine Straßenlaternen, die in der Form alten Gaslaternen nachempfunden sind. Sie werfen ein so dickes, dunkelgelbes Licht, dass Eisenbeis begeistert ruft: »Das müssen Natriumdampf-Niederdrucklampen sein!« Im Sinne seiner Schützlinge das Feinste, was es am Markt gibt. Man würde vielleicht mittelalterliche Stadtviertel derart illuminieren. Rechtlich und gemessen an entsprechenden DINs gilt dieses Dunkelgelb gar nicht als zulässiges Straßenlicht. Um Parkplätze und randstädtische Einkaufszentren nachts zu beleuchten, würde es allemal reichen. Stattdessen setze man dort, sagt Eisenbeis, auf den »Klein-Las-Vegas-Effekt«. Weißes Flutlicht macht aus Nacht Tag. Obwohl dies niemand sieht.

Seit jenen Tagen des Zählens und Bestimmens der Straßenlaternenopfer ließ das Thema den Professor nicht mehr los: dass es zu hell ist auf der Erde. Dass es dringend dunkler werden muss, am besten durch Abschalten. Aber weil der Insektenfreund durchaus kein Radikaler ist, freut er sich, dass man schon so viel durch speziell geformte Leuchten und insektenfreundliches Licht erreichen kann. Das erzählt er jetzt auf erstaunlich vielen Kongressen weltweit. Kürzlich erst hielt er einen Vortrag auf einem Lichtverschmutzungskongress in Los Angeles. Soeben kommt er aus Shanghai zurück, wo er ökologisch interessierte Chinesen mit einer ihnen ganz neuen Umweltsünde erschreckte: der Lichtverschmutzung. Seine Reisetätigkeit hat stark zugenommen: »Ich komme damit mehr rum als mit der Bodenbiologie!«

Kraniche kreisen bis zur Erschöpfung um eine erleuchtete Ruine

Am Mainzer Abgeordnetenhaus fällt Eisenbeis die Geschichte des Abgeordneten Hammer ein. Der hatte versucht, in seinem Abgeordnetenappartement zu nächtigen. Leider räderte ihn die Straßenbeleuchtung, die ihm aufs Schlafsofa schien. Der Casus wurde in Mainz ausführlich diskutiert: Licht in der Nacht bringt den Menschen um den Schlaf! Eisenbeis fällt noch mehr ein: Im Mai beschäftigte sich ein internationales Symposium in Köln mit der Frage, welchen Zusammenhang es gibt zwischen Licht in der Nacht und Krebs, ob Schichtarbeiterinnen eher an Brustkrebs erkranken, Blinde dagegen seltener. Irritiert zeigte man sich in Köln nur, weil Arktisbewohner mit teilweise sehr viel nächtlichem Licht kein erhöhtes Krebsrisiko tragen.

Wenn man mal drauf achtet, sieht man nur noch Lampen. Fast immer strahlen sie wer weiß wohin. »Sind die denn jetzt mal recht, Herr Eisenbeis?» In Richtung Bahnhof stehen gelbe Leuchten, nach oben mit einer Kappe abgedeckt, sie bescheinen deutlich die Straße. »Der Jan Hollan hätte Einwände«, sagt Eisenbeis. Es gebe noch seitliche Abstrahlung. Astronom Hollan gilt als streng. Er favorisiert sorgfältig abgeschirmte Leuchtkörper, die mittels Spiegeln oder Linsenoptik Licht nur dahin bringen, wo es unbedingt sein muss.

Wir nähern uns der Universität. Pfui! Weißes Licht aus Bogenlampen! »Auch die Uni verhält sich manchmal nicht ganz umweltgerecht«, räumt Eisenbeis ein, »ich habe damals gleich in der Technik angerufen, aber da waren die Leuchten schon alle angeschafft.« Die große Ausfallstraße nebenan dagegen, die Saarstraße: gelb! Vorbildlich. Eisenbeis’ Werk? Er will es nicht dementieren. »Früher war hier weißes Licht. Ich habe aber viel mit den Stadtwerken geredet, die sind ganz aufgeschlossen.« Und die Kommune freut sich auch: Motten gerettet, Mücken gespart. Gelbes Licht senkt nämlich die Stromkosten.

Wenn man das in Berlin wüsste! Eisenbeis hat nachgeschaut, im Regierungsviertel. Die Straße zwischen Reichstag und Kanzleramt: hervorragend beleuchtet! Indirektes Licht, nach unten gespiegelt – müsste nur noch ein Schutzring gegen die seitliche Abstrahlung dran. »Ich wollte das dem Thierse mal schreiben.«

Neulich in Los Angeles auf der Tagung gegen Lichtverschmutzung traf Gerhard Eisenbeis Experten,die untersuchen, ob falsches Licht auch der Flora schadet. Zahllos sind die Leidensgeschichten: junge Seeschildkröten in Florida, die es zum auf der Meeresoberfläche reflektierten Mondlicht ziehen soll, die aber in Richtung Straßenlaterne krabbeln. Kranichgruppen, die im Hessischen bis zur Erschöpfung um eine angestrahlte Ruine kreisen. In Nordamerika sollen an nächtens beleuchteten Hochhäusern bis zu einer Milliarde Zugvögel jährlich ums Leben kommen.

Als Kongressbeteiligter war auch der weltweit größte Spezialist in Glühwürmchenfragen anwesend. Und da tat sich ein böses Problem auf: Glühwürmchen haben zwar im Allgemeinen keinen Kummer mit künstlichem Licht. Allerdings irritiert sie Licht einer ganz bestimmten Wellenlänge erheblich: gelbes Licht! Es sei noch völlig unklar, sagen die Experten, wie man darauf reagieren solle.

Vielleicht sollte man das Licht nachts doch ganz abschalten.

Mit freundlicher Erlaubnis : Burkhard Straßmann und DIE ZEIT



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