(dpa) Ohne Freunde und ohne Freiheit blieb in Tibet 50 Jahre
lang nichts anderes übrig, als die Faust im Sack zu machen.
Wie jeden Abend sass der Dalai Lama im Kloster von Dromo in Tibet
an seinem 6-Volt-Radio. In tibetischer Sprache verkündete Radio Peking,
die vom Dalai Lama in die chinesische Hauptstadt entsandte Delegation
habe ein 17-Punkte-Abkommen mit der chinesischen Regierung geschlossen.
«Ich hatte schlechte Nachrichten erwartet», erinnert sich das geistliche
und weltliche Oberhaupt der Tibeter, aber nichts habe ihn «auf den Schock
vorbereiten können, der da kam».
Das unter Drohungen am 23. Mai 1951 unterzeichnete Dokument setzte der
Unabhängigkeit Tibets ein Ende. Auch 50 Jahre danach ist heute der Vertrag
das einzige formelle Papier beider Seiten, das die Integration Tibets in die
Volksrepublik besiegelt. Die Unterhändler des Dalai Lamas waren nicht autorisiert,
etwas zu unterzeichnen. Sie hatten nicht einmal die Siegel des Dalai Lamas dabei.
Gleich zu Anfang betonte die Vereinbarung, das tibetische Volk solle in die grosse
Familie des Vaterlandes, der Volksrepublik China, «zurückkehren». Doch sicherte
das Abkommen auch weit reichende Autonomie zu. «Die Zentralbehörden werden
das bestehende politische System in Tibet unverändert lassen», hiess es. Status,
Befugnisse und Funktion des Dalai Lamas sollten unangetastet bleiben. «Religion,
Sitte und Gebräuche des tibetischen Volkes sollen respektiert und die Lama-Klöster
geschützt werden».
«Wir waren so hilflos», meinte der Dalai Lama später, nachdem schon auf die
chinesische Invasion im Oktober 1950 hin den Tibetern niemand zu Hilfe gekommen
war. Ein Antrag El Salvadors in den Vereinten Nationen, China als Aggressor zu
verurteilen, wurde weder von den Briten, den ältesten Freunden der Tibeter, noch
den Indern oder Amerikanern unterstützt.
«Ohne Freunde blieb uns nichts übrig, als zuzustimmen, uns den Chinesen zu
unterwerfen und die Faust in der Tasche zu ballen», meinte der Dalai Lama.
Im Oktober 1951 marschierte die Volksbefreiungsarmee dann in der Hauptstadt
Lhasa ein. Provinzen Tibets wurden ganz oder in Teilen chinesischen Provinzen
zugeteilt. Nach dem Aufstand der Tibeter 1959 und der Flucht des Dalai Lama
nach Indien ins Exil löste Peking die tibetische Regierung auf, setzte ein
«vorbereitendes Komitee für die Autonome Region Tibet» ein, die 1965 gegründet
wurde. Aber die versprochene Selbstbestimmung war schnell dahin. Und Peking
hat auch die Zusagen zur religiösen und kulturellen Autonomie nicht eingehalten,
beklagen die Tibeter bis heute.
Wie heikel und schwierig die chinesische Fremdherrschaft auch 50 Jahre nach
der Vertragsunterzeichnung ist, zeigen die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen
zum Jahrestag am 23. Mai. Den Tibetern wurde aufgetragen, eine Teilnahme an den
Feiern zu ihrer «friedlichen Befreiung» sei eine «wichtige politische Verantwortung».
Wer sich verweigere, müsse sogar mit Kürzungen von Gehalt oder Pension
rechnen, berichteten exiltibetische Gruppen. Tibeter wurden in Zeitungen
aufgefordert, «den Dalai Lama zu kritisieren, bis wir den endgültigen Sieg im
Kampf gegen den Separatismus erreicht haben».
23. Mai 2001