QUELLE : NZZ (Neue Zürcher Zeitung)
Ausgabe vom 3. Oktober 2000
China erlässt restriktive Internet-Vorschriften.
Zensur und Investitionsbeschränkungen für Ausländer.
China hat nach einer Meldung der staatlichen
Nachrichtenagentur Xinhua strenge Vorschriften für
Internet-Anbieter erlassen. So wurden Provider
angewiesen, Informationen über Inhalte und Nutzer
aufzuzeichnen und der Polizei zur Verfügung zu stellen.
Alle Veröffentlichungen mit "subversiven Inhalten"
sollen künftig gemeldet werden. Ausländische
Investitionen in Internet-Firmen in China werden streng
limitiert.
U. Sd. Peking, 2. Oktober
Die Kommunisten in Peking geben sich offenbar weiterhin
der Illusion hin, sie könnten das Unkontrollierbare
schlechthin, das Internet, nach ihren Wünschen gestalten
und überwachen. Die vor zwei Wochen im Kabinett von
Ministerpräsident Zhu Rongji angenommenen und von
der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua am Montag
publizierten neuen Internet-Bestimmungen sehen eine
klare Beschränkung ausländischer Investitionen und
scharfe Massnahmen gegen "subversiven" Inhalt vor.
Damit ist endgültig klar geworden, dass die chinesische
Regierung nicht daran denkt, die westlichen Grundlagen
des Internet - den freien Informationsfluss und den
freien Zugang zu allen Web-Seiten weltweit - zu
übernehmen, sondern dass sie auf Kontrolle und Zensur,
auch auf Selbstzensur, beharrt. Die restriktiven
Massnahmen, die kein nennenswertes Verständnis für die
Eigenheiten des neuen Mediums erkennen lassen, werden
wohl unter chinesischen wie ausländischen
Internet-Firmen helles Entsetzen auslösen und jene, die
gehofft hatten, China werde sich im Zug seines Beitritts
zur Welthandelsorganisation (WTO) rasch den
Gepflogenheiten der westlichen Welt anpassen,
enttäuschen. Sämtliche chinesischen Internet-Firmen sind
praktisch vollständig auf westliche Investitionen
angewiesen; bleiben sie aus, wird sich dieser Sektor weit
langsamer als geplant entwickeln.
Schwammige Begriffe
Die Crux der neuen Bestimmungen liegt primär in ihrer
definitorischen Unklarheit. Die Anbieter werden für
"illegalen Inhalt" haftbar gemacht, doch was das im
Einzelnen bedeutet, ist offen. Verboten ist zum Beispiel
das Verschicken von Nachrichten, die "subversiv" sind,
das "Ansehen Chinas schädigen", die Wiedervereinigung
mit Taiwan erschweren oder verbotene "üble Kulte"
unterstützen. Weitere Forderungen sind schlichtweg
absurd. Anbieter von Internet-Inhalten und von Diensten
müssen von sämtlichen Veröffentlichungen und von allen
Gebrauchern 60 Tage lang vollständige Akten anlegen und
sie auf Verlangen der Polizei übergeben. Sie sind zudem
aufgefordert, selber Zensur zu üben: Entdecken sie die
genannten "subversiven Inhalte",müssen sie solche
umgehend den Behörden melden. Bestehende Web-Seiten
haben - ab 1. Oktober - 60 Tage Zeit, dem Ministerium
für die Informationsindustrie detaillierte
Informationen über ihre Unternehmungen zuzustellen;
unterlassen sie dies, erhalten sie keine Lizenzen.
Ohne Lizenzen operierende Firmen werden geschlossen !!
Monopolisierte Interpretation
Nachdenklich stimmt nicht nur der Umstand, dass Chinas
Kommunisten das Internet kontrollieren wollen. Auch im
Westen gibt es zwar zunehmend Bestrebungen, die
schlimmsten Früchte des freien Informationsflusses -
Nazipropaganda, Kinderpornographie und ähnliches - zu
unterbinden oder zumindest den Zugang dazu zu
erschweren. Doch dies geschieht in der Regel auf der
Grundlage eines Rechtsstaats und in einem
Gesetzesrahmen, der demokratisch kontrolliert ist. Das
ist in China nicht der Fall. Die Bestimmungen zum
Internet, vor allem die vage definierten, werden von den
Herrschenden nach Lust und Laune interpretiert und
angewendet werden; Rechte irgendwelcher Art werden die
von der Zensur betroffenen Unternehmen keine haben. Das
heisst allerdings nicht, dass die chinesischen Anbieter
nun aufgeben werden. Die wendigeren unter ihnen haben
sich schon lange auf die Zensur eingerichtet und werden
sich vermutlich tatsächlich bemühen, nach Möglichkeit
nicht zum Träger suspekter Informationen zu werden. Im
nichtpolitischen Bereich des Handels und der Wirtschaft
gibt es so oder so einiges zu holen; die Internet-
Entwicklung wird also sicher nicht gestoppt. Die
Ausländer allerdings werden vermutlich einige Zeit
brauchen, bis sie den jüngsten Schock überwunden haben.
Sie kennen die längerfristige Bedeutung des freien
Informationsflusses besser als die Chinesen und werden
sich zurückhalten, umso mehr, als ihnen das
Geldverdienen in diesem Sektor offenbar so schwer wie
möglich gemacht werden soll. Mit dem Geist des
WTO-Abkommens, das lässt sich schon jetzt sagen,
haben die nun publizierten Bestimmungen natürlich
nichts zu tun !!