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Stress für Mensch und Tier - Macht das Licht aus !

Ausgerechnet das Licht, Symbol des Lebens, ist zur neuen Umweltplage geworden. Die immer grellere Welt belästigt Mensch und Tier. Unzählige Insekten und Vögel tappen Nacht für Nacht in die Lichtfalle. Dabei könnte leicht Abhilfe geschaffen werden.

 Lichtverschmutzung

Der Strand ist schwarz wie die kalifornische Nacht. Er scheint von unzähligen Punkten besprenkelt, die wie dicke Regentropfen auf dem Sand sitzen. Doch die Luft ist trocken. Es ist kein Regen gefallen, und es ist diesmal auch keine Ölpest, die ein zerplatzter Tanker an das Ufer geworfen hat. Der schwarze Saum am mondänen Küstenstreifen bewegt sich mit tausend kleinen Beinchen.

Streng genommen sind es sogar Flossen, die da über den Sand wuseln. Sie gehören dem Nachwuchs der Meeresschildkröte. Die Weibchen haben die Eier vor vielen Monaten mühsam im Sand vergraben, jetzt sind, im Schutz der Nacht, zeitgleich die Jungen geschlüpft. Wie von einem magischen Kompass gesteuert, huschen die Minipanzer über den Sand. Sie laufen um ihr Leben – direkt ins offene Meer.

Das grandiose Naturschauspiel lockt Greifvögel und Tierfilmer gleichermaßen in Schwärmen. Doch seit einigen Jahren ist die Schildkrötenshow gestört. Mehrfach wurde beobachtet, dass die kleinen Flitzer komplett die Richtung verfehlten. Am Strand bei Fort Lauderdale liefen 95 Prozent der frisch aus dem Ei geschlüpften Karettschildkröten, auf unerklärliche Weise irregeleitet, in die entgegengesetzte Richtung, immer Kurs Stadtmitte. Was war los, was hatte die Schildkrötenbabies umgepolt?

Der Fehler im Navigationssystem ist inzwischen gefunden: Die hell beleuchtete Landseite hat die Tiere irritiert und ins Leere laufen lassen. Offenbar orientieren sie sich bei ihrer nächtlichen Wanderung am Mond- und Sternenlicht, das, vom Wasser reflektiert, einen zarten Schimmer aufs Meer wirft, während das Festland in tiefes Dunkel getaucht ist. So war es immer gewesen.

Doch die immer hellere Stadtsilhouette und eine grell ausgeleuchtete Küstenstraße hatten die Lichtproportionen umgekehrt, die kleinen Schildkröten krochen in den Tod. Seit dem Massensterben von Fort Lauderdale gilt die Meeresschildkröte als Kronzeugin für ein Umweltphänomen von wachsender Brisanz, das die Amerikaner „Light pollution“ nennen, Lichtverschmutzung.

Die Welt ist im letzten Jahrhundert immer heller geworden. Die Beleuchtung unserer Städte frisst sich förmlich in Landschaft und Himmel, Lichterozeane durchlöchern die Finsternis. Nirgends sieht das eindrucksvoller aus als von oben. Auf Satellitenbildern erscheint der in die Nacht getauchte Teil der Erdkugel mit Lichtpunkten durchsetzt. Europa und Nordamerika sind deutlich überbelichtet.

Richtig dunkel ist es nur noch in abgelegenen Wüstenregionen und in den immer kleiner werdenden Oasen der tropischen Regenwälder. Das Licht, der Beginn allen Lebens, universeller Zeitgeber für Mensch, Tier und Pflanze, ist zur Geißel der Natur geworden, zur neuen Umweltplage. Mit ihr droht eines der schönsten Bilder zu verschwinden: Die Sterne, viel besungenes „Brautkleid des Himmels“, sind nur noch an wenigen Plätzen der Erde in ihrer ganzen Pracht sichtbar. Längst sind die professionellen Astronomen abgewandert.

„Sein Kind an die Hand nehmen und mit ihm gemeinsam in den nächtlichen Sternenhimmel blicken – nichts kann diese Inspirationsquelle ersetzen“, sagt David Simon, der Regionaldirektor der Vereinigung der amerikanischen Nationalparke. Simon gehört zu den Kämpfern für die Dunkelheit: „Wenn wir den Sternenhimmel nicht einmal über unseren Nationalparken richtig sehen können, dann sagt das genug darüber, was wir auf diesem Kontinent angerichtet haben.“

Seine Forderung: Macht endlich das Licht aus! Doch seit Jahrtausenden ist es das Ziel des Menschen, Licht anzu machen, die Dunkelheit zu besiegen.

Die nächtliche Finsternis war uns schon immer suspekt. Das drückt sich nirgendwo klarer aus als in unserer Sprache. Wie ein Unglück lassen wir die Nacht über uns hereinbrechen, sie macht das Leben unsichtbar und brütet Unheil aus, dunkle Phantasien walten. Gerade staunt der Mensch noch über „des Körpers Pracht, und schon ist sammetschwarz die Nacht“, reimte Goethe über das „unaussprechlich Geheimnisvolle“.

Das Unheimliche der Dunkelheit aber ist ihre Nähe zum Tod. „Fernab liegt in der Nacht die Welt, in eine tiefe Gruft versenkt“, schrieb Novalis. Erst das Licht offenbare die ganze „Wunderherrlichkeit der Welt“, lehrten uns die Dichterfürsten. „Du sprichst von Finsternis, und ich will Helle“, ruft Doktor Faustus, denn erst das Licht bringt Leben hervor. So hat der Mensch, seit es ihn gibt, versucht, die Dunkelheit zu bekämpfen und ein Licht der Hoffnung anzuzünden. Feuer, Fackel, Kerze und Petroleumlampe waren seine bescheidenen Hilfsmittel. Wenn sie erloschen, half nur noch der zarte Schein von Mond und Sternen oder das leuchtend funkelnde Auge der Liebsten.

Deutlich mehr Helligkeit als selbst die schönste Frau und das güldenste Sternlein verbreiteten Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Glühbirnen. Edisons Erfindung brachte dauerhaft Licht in die Finsternis. Der tageszeitliche Hell-dunkel-Wechsel, seit Jahrmillionen Taktgeber für den Biorhythmus des Menschen, war durchbrochen von einem simplen Wolfram-Glühfaden. 1939 knipsten die ersten Leuchtstofflampen ein noch intensiveres Licht an. Die Nacht wurde endgültig zum Tage. Nicht nur Nachtwächter, auch Chirurgen, Lkw-Fahrer und Kriminalkommissare arbeiten jetzt nachts.

Der Mensch bestimmt seinen Rhythmus selbst; die Dunkelheit beginnt erst mit dem Löschen der Nachttischlampe. Seit die Erde hell geworden ist, haben sich die Lebensbedingungen vieler Tiere dramatisch verändert. Milliarden von Insekten und Vögeln sind seither in die tödliche Lichtfalle gegangen. Jeder abendliche Spaziergänger kennt das Phänomen: Um den milchigen Schein einer Straßenlaterne kreist und summt ein geflügelter Schwarm in rauschhaftem Bann.

Doch der ekstatische Tanz der Insekten endet meistens mit dem Tod. Die Tiere verbrennen, verhungern oder taumeln nach endlosen Runden erschöpft zu Boden. Fledermäuse und Vögel kennen inzwischen die Lichtnummer. Der Konstanzer Biologe Robert Bauer beobachtete Rotkehlchen, die in der Morgendämmerung punktgenau die Straßenlaternen anflogen, um die darunter verstreuten Insekten zu frühstücken. Inzwischen wurde die „Anlockung nachtaktiver Insekten durch Beleuchtungsanlagen“ in einigen wenigen Studien gezielt untersucht. Drei Buchstaben einer einzigen Leuchtreklame in der Grazer Innenstadt zogen im Jahreslauf 350000 Insekten an. An einer großen, bestrahlten Fabrikwand zählten die Forscher in einer Nacht 100000 Tiere.

Wie von einem Zauber angezogen, steuern die Insekten aus großen Entfernungen die künstlichen Lichtquellen an. Nahrungs- und Partnersuche, Eiablage und Fortpflanzung, für die manchen kurzlebigen Arten nur wenige Stunden bleiben, sind vergessen, wenn das Licht brennt. Käfer, Mücken, Fliegen und Schmetterlinge werden aus ihren Lebensräumen herausgelockt und verspielen ihre Energie in sinnlosen Rundflügen.

Verschiedene Theorien versuchen die magnetischen Anziehungskräfte von Lampen auf Insekten zu erklären. Sicher ist nur, dass die lichtempfindlichen Flieger in ihrer an Himmelskörpern ausgerichteten Orientierung fehlgeleitet werden und – teilweise in kuriosen Spiralen – zwanghaft die Leuchtkörper anfliegen. Bei Vollmond ist der „Staubsaugereffekt“ der Lampen deutlich reduziert, weil die natürliche Konkurrenz des Himmelslichts dann intensiver ist.

Die Folgen der Lichtverschmutzung für die Insektenvielfalt und die Ökosysteme sind, angesichts der dürftigen Forschungsarbeit, schwer zu beurteilen. Die besten Untersuchungen sind in Diplomarbeiten von Nachwuchswissenschaftlern zu finden. Dennoch: Der Mainzer Zoologe Gerhard Eisenbeis ist überzeugt, dass der ständige Lichttod die „schleichende Verarmung“ der Insektenarten beschleunigt hat. Sein neues Forschungsprojekt soll das existenzbedrohende Potenzial der Leuchtkörper quantifizieren und den Artenschwund durch Lichtverschmutzung beweisen.

Eisenbeis plädiert dafür, dunkle Schutzzonen zu schaffen, um den Tieren zu helfen. Während der Untergang der Insekten im Lichtermeer nur einige Nachtfalter-Kundler wirklich beunruhigt, verursacht das Massensterben von Vögeln schon mehr Aufregung. Die künstlichen Lichtquellen irritieren vor allem die Nachtzieher unter den Vogelarten, zu denen etwa Enten, Stare, Lerchen, Limikolen, Grasmücken und Drosseln gehören. Wie massiv das Licht die Vögel durcheinander bringt, erlebten im Herbst 1996 die Einwohner im Landkreis Marburg-Biedenkopf.

Ein durchziehender Kranichschwarm war von den Skybeamern, mit denen örtliche Diskotheken ihre Lichtreklame in den Nachthimmel schießen, so verwirrt, dass die Vögel stundenlang orientierungslos kreisten, um schließlich erschöpft in den Vorgärten zu landen. Auch Hunderte Kleinvögel wurden flugunfähig oder tot in den Gärten gefunden. Immerhin haben sich Regierungsbezirk und Diskothekenbesitzer inzwischen auf einen spät-herbstlichen Stopp für die Lichtshow verständigt.

Ganz andere Vogelfallen sind Leuchttürme, hell belichtete Hochhäuser und Ölplattformen. Michael Mesure, kanadischer Experte für Vogelschlag und Gründer des „Light Awareness Program“, beziffert die Zahl der Vögel, die in Nordamerika mit beleuchteten Gebäuden kollidieren, auf jährlich 100 Millionen.

In Toronto sammelte Mesure im Laufe eines Jahres 129 Vogelarten auf, die nach Crashs tot neben Hochhäusern gefunden wurden. Inzwischen belegt eine Reihe detaillierter Zählungen das Killerpotenzial von Großstadtlichtern und Warnscheinwerfern. Die Gefahr geht dabei von der Blendwirkung aus. Der Lichtforscher Jörg Schmiedel aus Hannover: „Die Tiere nehmen Hindernisse in ihrer Flugbahn nicht mehr wahr und fliegen oft direkt auf die Lichtquelle zu.

“Bei Geschwindigkeiten von 75 km/h (Stare) oder sogar 120 km/h (Krickenten) haben die Vögel beim Aufprall auf ein Lampengehäuse oder ein Bauwerk keine Chance. Vor allem Leuchttürme sind tückische Vogelfallen. Am Helgoländer Turm hat der Küstenschutz nach heftigen Protesten die Opferzahlen reduzieren können. Schon frühzeitig wurden dort Vogelschutzlampen installiert, die den Turm anstrahlten und ihn für die anfliegenden Tiere als Hindernis sichtbar machten.

Beim Wiederaufbau des Turms nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Höhe des Leuchtfeuers verringert und die Leistung auf 500 Watt reduziert. Die Zahl der Vögel, die gegen den blinkenden Koloss rasen, ist seitdem gesunken. Eher kurios anmutende Konsequenzen hat der Lichtsmog zuweilen für die Tiere in der Stadt. In der hell beleuchteten Metropole Stockholm singen verwirrte Vögel an manchen Tagen bis Mitternacht. Oder Altvögel füttern die Jungen zu nachtschlafender Zeit. Auch Winterbruten werden gelegentlich beobachtet, wenn der Lichtüberschuss die natürlichen Fortpflanzungsrhythmen außer Kraft setzt. Die geschlüpften Jungvögel erfrieren oder verhungern.

Es gibt wohl kein Tier, das nicht in irgendeiner Weise von der Lichtverschmutzung betroffen wäre. Hormonhaushalt, Nervensystem und Reproduktion, Schlafrhythmen, Aktivitätsphasen und Stimmungen – das Licht bestimmt den Lauf des Lebens. Selbst die Bäume lassen im Umfeld starker Lichtquellen später die Blätter fallen als in natürlicher Dunkelheit. Zweibeinige Stadtbewohner fühlen sich in der Bundesrepublik vor allem durch Straßenlaternen, Leuchtreklame, grell strahlende Einkaufszentren, Tankstellen und Sportstadien gestört.

Über störendes Licht wird allerdings kaum geredet. „Wir begreifen nur langsam das Ausmaß des Problems“, sagt Nationalpark-Direktor David Simon und schimpft über Ignoranz und Trägheit. Seine Einschätzung: „Heute hat die Lichtverschmutzung dieselbe Bedeutung wie früher die Luftverschmutzung.“ Doch es gibt einen gravierenden Unterschied: Die Lichtepidemie ließe sich sehr viel leichter und schneller eindämmen. Niemand muss im Dunkeln munkeln.

Schon der Austausch der aggressiven Quecksilber-Hochdrucklampen gegen Natrium-Exemplare würde etwa die Lockwirkung auf Insekten um 90 Prozent senken. Natrium-Hochdrucklampen der neuen Generation kombinieren Wirtschaftlichkeit mit angenehmer Lichtfarbe, verbesserter spektraler Verteilung des Lichts und unterdrückter Lock- und Blendwirkung. Genauso wichtig wäre der Einsatz vernünftiger Lampenkörper, die das Licht zielgerichtet nach unten abstrahlen. Die Straße oder der Gehweg soll hell sein und nicht der Himmel.

30 Prozent unseres Lichts werden aber immer noch sinnlos nach oben abgestrahlt. Außerdem gibt es heute ausgefeilte Dimmtechniken und Bewegungsmelder, die das Licht nur dann anschalten, wenn es gebraucht wird. Die Lösung des Problems erfordert also keine finanziellen Opfer, sondern Intelligenz und Problembewusstsein. Spätestens beim nächsten Kahlfraß durch den Schwammspinner sollte uns ein Licht aufgehen.

Die Invasion der Tierchen, die vor sechs Jahren in der Rheinebene eine wahre Hysterie auslösten und ganze Alleen abnagten, wurde von den hell angestrahlten Häuserwänden und Lichtmasten an den Ortsrändern begünstigt. Statt Pestiziden hätte schlichte Abdunklung geholfen. Doch finster waren damals nur die Katastrophenberichte über „Hitchcocks Giftraupen“.

Mit bestem Dank an :  natur.de



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